Interview Traders Magazin – So erstellt man ein Handelssystem (Cover Story)

Das anerkannte und gleichzeitig auflagenstärkste Trader Magazin im deutschen Sprachraum “Traders Magazin” hat in der Dezember Ausgabe einen Schwerpunkt zum Thema Trading Robots gesetzt. Da darf natürlich ein Interview von Thomas Vittner in diesem Zusammenhang nicht fehlen.

Im Traders Magazin gibt es aus Platzgründen die lektorierte, dafür aber die gekürzte Version. Hier findet sich die un-lektorierte Vollversion.

Leider ist der Beitrag im Traders Magazin nicht frei zugänglich. Wir verlinken trotzdem auf das e-paper

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Unterhalb finden sie das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe mit dem gekennzeichneten Beitrag (roter Pfeil).

Was würdest du einem Anfänger raten, wenn er nach einem passenden Handelssystem sucht?

Ein Beginner muss sich zunächst einmal einen Überblick über die unterschiedlichen Anlageklassen und Produkte verschaffen, die er traden will. Danach sollte er nach Softwarelösungen suchen, mit der sich Handelssysteme im gewünschten Zielmarkt entwickeln lassen. Denn nicht jede Software passt für jeden Markt.

Ein Beispiel: wenn ein Trader Aktien Portfolios Backtesten will, braucht er eine Software, die Portfolio Backtesting beherrscht. Das wiederum können nicht alle am Markt verfügbaren Programme. Bevor es also um die Strategieentwicklung selbst geht, ist es nötig, die Grundlagen zu recherchieren.

Und dann erst geht es mit der Systementwicklung los. Hier würde ich zunächst auf Social Media Kanälen nach den Basics suchen. Beispielsweise auf meinem Kanal. Doch Vorsicht vor Leuten, die auf Facebook, YouTube und Co das Gelbe vom Ei versprechen und intensiv Werbung schalten. Meist ist da nicht viel dahinter.

Woher bekommst du deine Strategieideen, um ein Handelssystem zu konstruieren?

Es gibt hier mehrere Ansätze. Einerseits schaue ich mir Kursverläufe mit freien Auge zwecks Mustererkennung an. Wenn ich der Meinung bin, etwas interessantes gefunden zu haben, überlege ich, ob es Regeln dafür gibt, die dieses Verhalten abbilden und eindeutig sind. Regeln, die es mir ermöglichen, eine statistische Analyse (Backtest) damit zu machen. Ich frage mich also: kann ich diese Idee irgendwie quantifizieren/backtesten? Gibt es Indikatoren dafür, die das Muster abbilden?

Nicht jede Idee, die man hat, kann man nämlich backtesten. Traden hingegen sollte man nur Dinge, die man quantifizieren kann. Kann ich eine Idee nicht testen, weil die Regeln entweder nicht klar genug sind oder weil es einfach an Reproduzierbarkeit fehlt, dann verwerfe ich diese Idee.

Denn ich möchte nur das handeln, was ich prüfen kann und was nach erfolgter Prüfung nachweislich funktioniert.

Und dann gibt es noch den anderen – den computergestützten – Weg. Ich habe heute die Möglichkeit, verschiedene Machine Learning Algorithmen bei der Systementwicklung einzusetzen. Und dafür muss man nicht einmal des Programmierens mächtig sein.

Beispielsweise enthält meine Backtesting Software Wealth Lab die Erweiterung der neuronalen Netze, ebenso genetische Optimierer, die sich von System-Generation zu System-Generation von alleine verbessern oder diverse Indicator Profilings, mit denen ich das Alpha eines Indikators messen kann.

Der Algorithmus findet also gute Indikatoren-Kombinationen und Parameter Settings, in dem sie auf unterschiedliche Machine Learning Algos zurückgreifen. Doch dabei ist wichtig zu verstehen, dass KI den Trader auch im Bereich der Systementwicklung nicht ersetzen wird. Denn diese Prozesse muss man richtig beobachten.

Und zu guter Letzt bestimmt der Trader, welches System er dann tatsächlich anhand verschiedener Metriken live traden will. Egal ob er es selbst „erfunden“ hat oder ob der Computer der Schöpfer der Handelslogik ist.

Was ist für dich der schwierige Teil bei der Konstruktion eines Handelssystems?

Einer meiner Lieblingssätze im Hinblick auf Systementwicklung lautet: wir optimieren auch dann, wenn wir nicht optimieren. Damit meine ich, dass wir trotz der Trennung von „gesehenen Daten“ und „ungesehenen Daten“, was auch „in-sample“ vs. „out of sample“ genannt werden kann, häufig über optimieren. Zum Beispiel widmet sich unsere Quant Master 1 Ausbildung ausschließlich diesem Thema Überoptimierung, weil es so enorm wichtig ist.

Um die Frage nun zu beantworten: die Überoptimierung ist das größte Problem bei der Entwicklung von Handelssystemen und damit einer der schwierigsten Teile. Und darüber könnte man vermutlich ein ganzes Buch schreiben.

Überoptimierungen geschehen meist nicht absichtlich. Der Entwickler will einfach zu viel. Noch ein Prozent mehr Performance im Backtest erzwingen. Noch etwas weniger Drawdown oder eine um einen Tick bessere Sharp Ratio: und schwupp – das System wurde – unwissentlich – über optimiert.

Und wie gesagt: in sample vs. out of sample sind ein guter Anfang, die Überoptimierung im Zaum zu halten. Aber rasch werden auch hier unbekannte Daten zu bekannten Daten. Nämlich dann, wenn man nach der in sample Entwicklung auf den out of sample Zeitraum blickt und feststellt, dass einem das, was man dann sieht, vielleicht doch nicht so gut gefällt.

Denn natürlich ist es meist so, dass out of sample schlechter performt als in sample. Denn es ist nicht schwer, das System auf gesehenen oder bekannten Daten zu optimieren, so dass die Ergebnisse gut sind. Viel schwieriger ist es, dass das System auch auf ungesehenen out of sample Daten gut ist.

Wenn ich nun also feststelle, dass out of sample nicht gut genug für mich ist, gehe ich mit dieser Information wieder zurück in den in sample Zeitraum und optimiere neu. Und schon bin ich im Kreislauf drin. Ich habe ein Stück weit über optimiert. Und wenn ich das nun ein paar mal wiederhole, habe ich Systeme, die im Backtest perfekt sind, im Live Trading aber kläglich versagen.

Bis vor kurzem konnte man gegen Überoptimierung wenig bis nichts tun. Meist wurde sie auch nicht mal bemerkt. Maximal mit einer Walk Forward Analyse kann ich in Ansätzen erkennen, ob mein System über optimiert ist. Aber Walk Forward zeigt mit nur – mit Abstichen – die Überoptimierung grob an. Walk Forward gibt mir keine Möglichkeit, die Überoptimierung zu reduzieren.

Doch mit meiner Backtesting Software kann ich nun die Überoptimierung in Schritt 1 visualisieren und in den weiteren Schritten langsam reduzieren. Dazu zeige ich euch drei Grafiken von drei Trading Systemen in unterschiedlichen Stadien der (Über)optimierung. Die dabei in verschiedenen Farben gegenübergestellte Performance in sample (blaue Kurve) mit der Perfomance out of sample (rote Kurve) visualisiert das sehr gut.

Über-optimiertes System (Grafik 1)

Wir sehen in der obigen Grafik, dass der verwendete genetische Optimierer im in sample Zeitraum (blaue Kurve) immer besser und bessere Settings findet und somit die Performance massiv ansteigt. Die rote Kurve, unser out of sample Zeitraum, kann aber nicht mithalten, tendiert genau genommen sogar leicht nach unten und der Abstand der beiden Kurven wird immer größer.

Das ist ein Musterbeispiel für eine starke Überoptimierung. Dieses System kann man getrost zur Seite legen. Hier macht es überhaupt keinen Sinn, weitere Zeit zu investieren um die Überoptimierung zu reduzieren. Die Parameter sind von Anfang an viel zu stark an die bekannten Daten angepasst.

Standard Fall (Grafik 2)

Was wir hier sehen ist gängige Normalität. Der Systementwicklungsprozess wurde abgeschlossen und der Entwickler freut sich über hervorragende Renditen im Backtest. Doch die Visualisierung der Renditen gesplittet in eine in sample vs. out of sample Periode zeigt, dass die rote Kurve (out of sample) bis maximal zwei Drittel des Weges mit der blauen Kurve (out of sample) „mithält“. Alles danach ist also über-optimiert.

Ganz rechts sind dann die Trades, die der Optimierer in sample findet, die es nie wieder gibt. Damit ist das System bis zu einem gewissen Grad über-optimiert, was aber kein Beinbruch ist. Diese Überoptimierung gilt es nun nämlich im nächsten Systementwicklungs-Schritt nach und nach abzubauen, in dem man Parameter für Parameter neu einstellt. Und das wiederholt man dann solange, bis man ein Bild wie im nächsten Fall enthält.

Überoptimierungs-Reduzierungsprozess abgeschlossen (Grafik 3)

Zum Schluss eine Grafik eines Handelssystems, bei der die rote Kurve (out of sample) fast bis an den rechten Rand des Bildes mit der blauen Kurve (out of sample) mit nach oben läuft. Das ist der Idealfall. Das System ist nach intensiven Bemühungen hinsichtlich Überoptimierung so gut es geht bereinigt worden.

Wie gesagt: eine leichte Überoptimierung hat jedes backgetestete Handelssystem, aber hier wurde sie deutlich minimiert. Dieses System würde ich als nicht mehr über-optimiert im Hinblick auf die verwendeten Indikatoren und Parameter Settings bezeichnen. Ob die angezeigte Rendite realistisch ist, ist eine andere Frage, die nicht direkt mit der Optimierung oder Überoptimierung der Parameter zu tun hat.

Wie optimierst du die Einstellungen innerhalb des Handelssystems? Gibt es eine Kennzahl, die besonders gut ist?

Für die Optimierung stehen mir verschiedene Optimierungs-Algorithmen zur Verfügung, die situativ zum Einsatz kommen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass man behutsam optimieren muss. Beispielsweise wird nicht immer das performanteste Handelssystem genutzt sondern Dinge wie Stabilität spielen eine viel wichtigere Rolle, auch wenn das zu Lasten der Renditen im Backtest geht.

Was die Wichtigkeit der Kennzahlen betrifft – da gibt es einige auf die wir achten. Neben Performance und Drawdown spielen auch die Exposure, die Sharp Ratio oder der durchschnittliche Profit pro Trade eine entscheidende Rolle, um nur einige Kennzahlen zu erwähnen.

Es ist also ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Metriken, die letztlich entscheiden, ob es ein System in den Live Handel schafft oder nicht.

Was lässt sich einfacher konzipieren ein Trendhandelssystem oder ein zyklisches Oszillator-System?

Das kann man pauschal nicht sagen. Fakt ist, dass jeder Zielmarkt seine Tendenzen hat, welche System-Type besser funktioniert. In unserer Trader Masterclass arbeiten wir mit unseren Klienten an 4 verschiedenen System Typen: Reversion, Momentum/Breakout, Rotationssysteme und Limit Dip Buyer. Dabei trennen wir Handelssysteme in Pro- und Antizyklische Modelle.

Was nun beispielsweise bei Aktien tendenziell gut funktioniert kann bei Währungen anders oder gar nicht funktionieren. Und natürlich spielt die gewählte Zeiteinheit und hier vor allem die Unterscheidung „intraday“ vs. „end of day“ eine nicht unwesentliche Rolle.

Jeder Zielmarkt hat also seine Tendenz und wurde diese Tendenz gefunden, findet man relativ leicht Systemlogiken, die grundsätzlich funktionieren. Will man hingegen ein System entwickeln, dass dieser Tendenz entgegensteht, kann der Systementwicklungsprozesses mühsam und zäh werden.

Wie viele Parameter darf ein Handelssystem haben, damit es kontrollierbar bleibt?

Auch hier kann man keine pauschale Antwort geben. Ich denke, es soll und darf weder zu einfach noch zu kompliziert sein. Jeder Parameter mehr erhöht das Risiko der Überoptimierung und wenn ich heute aus zwei Systemen wählen müsste, die annähernd gut performen und System A) besteht aus 18 Entry Parametern und System B) aus 12, dann würde ich vermutlich eher zum einfacheren System tendieren.

Doch im Endeffekt muss ich wissen, was mein Parameter zu meiner gewünschten Ziel Metrik beiträgt. Wenn jeder Parameter wichtig ist, können und dürfen es auch viele Parameter sein, solange ich die Überoptimierung im Griff habe. Wenn hingegen Parameter „mitgeschleppt“ werden, die gar keinen oder kaum mehr Einfluss auf meine gewünschte Metrik (beispielsweise APR – Jährliche Rendite in %) haben, kann ich den Parameter unter Umständen entfernen.

Dazu zwei Beispiele, die zeigen, welchen Einfluss die einzelnen Parameter auf ein System haben. (Grafik 4)

Hier oberhalb ein Handelssystem mit vielen Parametern. Jeder Parameter ist bedeutend und trägt mehr oder weniger zu meine gewünschten Ziel Metrik bei. Hier ist es die Metrik APR (Annualized percentage return – jährliche Performance in %) gewählt.

Im nächsten Fall ist das nun etwas anders (Grafik 5)

Die letzten beiden Parameter sind scheinbar für meine Zielgröße APR nicht wichtig. Ich sollte daher prüfen, ob ich diese Parameter, die natürlich zu bestimmten Indikatoren gehören, weglassen kann. Falls das nicht möglich ist, weil der Indikator aus mehreren Parametern besteht und die anderen Parameter dieses Indikators sehr wohl großen Einfluss auf meine Ziel Metrik haben, kann ich zumindest weitere Parameter Optimierungen unterlassen und diesen Parameter fixieren, was Zeit spart.

Letztlich jedoch hängt alles von der Frage ab: bin ich über-optimiert oder nicht. Und zum Glück können wir heute Überoptimierung visualisieren, damit messen und – mit verschiedenen Arbeitsschritten – reduzieren. Das Thema Überoptimierung hatten wir vorhin schon besprochen.

Was hältst du von Handelssystemen die eine KI-Komponente enthalten? Sind diese Systeme anderen langfristig überlegen?

Diverse Machine Learning Algorithmen entlasten den Systementwickler, weil auch Teile des Systementwicklungsprozesses damit automatisiert und somit optimiert werden können. Auch wir arbeiten gerne damit.

Ki ist heute ein Buzzword, doch Neuronale Netze gibt es im Börsenhandel beispielsweise bereits seit den späten 80er Jahren. Das ist also nichts Neues, doch aufgrund der öffentlichen Debatte über KI ist es nun auch im Trading wieder modern geworden.

Überlegen sind diese Systeme mit Sicherheit nicht. Weder heute noch in 10 Jahren. Denn wenn man bedenkt, welche Rechenpower Großkonzerne wie Google hätten, um den Börsencode vermeintlich zu knacken, es aber nicht tun, weil ihr eigentliches Kerngeschäft profitabler zu sein scheint, hat man auch schon die Antwort.

Börse und damit Trading wird aufgrund der Millionen Marktteilnehmer, egal ob menschlich oder KI, immer ein weitgehender Random Walk bleiben. Die nächste Kursbewegung ist immer rein zufällig und das Rauschen ist groß. Mit unseren statistischen Analysen (Backtests) versuchen wir dieses Rauschen zu erfassen und Muster zu finden.

Diese Muster existieren und manche unserer Systems sind schon jahrelang im Einsatz und funktionieren immer noch. Doch keine KI wird die Börse dauerhaft knacken. Denn sonst müssten die Märkte aufgrund des nicht mehr vorhandenen Zusammenspiels aus Angebot und Nachfrage für immer schließen.

Werden deine laufenden Handelssysteme einer fortlaufenden Kontrolle, sozusagen einem Wartungsintervall, unterzogen?

Was ihr hier ansprecht ist die vermutlich mit schwierigste Sache bei Handelssystemen: das Monitoring im Live Einsatz. Meiner Erfahrung nach kommt es auch hier auf den Zielmarkt an, wie häufig das Anpassen geschehen muss. Zum Beispiel funktionieren Handelssysteme in den Aktien Märkten meiner Erfahrung nach tendenziell deutlich länger als bei beispielsweise Währungspaaren. Die Aktien Märkte sind deutlich weniger effizient als Forex.

Aber auch bei Aktien Systemen prüfen wir regelmäßig, ob das System das macht, was es laut Backtest machen sollte. Das beginnt beim täglichen Prüfen der Slippage bis hin zu periodischen Performance Beobachtungen.

Hier achten wir auf mehrere Kennzahlen. Vor allem auf die Drawdowns, wenngleich nicht auf den Maximalen Drawdown, der aus statistischer Sicht keine Relevanz besitzt, weil er ein Einzelereignis ist. Besser geeignet sind hingegen die Drawdown Times von beispielsweise 10% oder 20%, die neben vielen anderen Kennzahlen unter Beobachtung stehen.

Es ist also nicht die eine Kennzahl, die mir verrät, ob mein System nicht mehr funktioniert und überarbeitet oder sogar abgeschaltet werden muss. Vielmehr ist es ein Bündel von Kennzahlen und ein Gesamteindruck, die darüber entscheiden, ob ein System trotz temporär schlechter Ergebnisse weiter gehandelt wird oder ob es einer Adaptierung unterzogen werden muss.

Danke für das interessante Gespräch!

Gerne, jederzeit wieder!

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